Raster Baumwollspinnerei ©AtelierVictoriaCoeln_Bildrecht, Leizig 2019

Raster

DAS RASTER

Das Raster ist ein Basiselement in meiner Arbeit. Zu Beginn hatte es für mich eine rein technische Funktion. Ich fertigte Glasraster dazu an, um die Orte der Interventionen auszumessen. Die geometrisch präzisen Rasterlinien und spezifische Felder waren nach meinen Grafiken aus der dichten, quasi schwarzen Beschichtung herausgeschnitten, ebenso die Zahlen und Buchstaben an den X- und Y-Achsen sowie meine Signatur. In der Projektion ergaben sich daraus weiße Lichtlinien und weiße sowie dunkle (lichtfreie) Quadrate. Die Zahlen und Buchstaben dienten als Referenz, wo genau an welcher Stelle welcher Lichtstrahl auftreffen würde. Auf dieser Basis gestaltete ich die präzisen, dem Ort genau angepassten  Diachrome.

Bald wurden die Raster selbst zu einem zentralen Gestaltungsmittel. Im Projekt VIA ACTIVA, ein partizipatives Interventionsprojekt im Wiener Stephansdom 2013, markierten sie die 7 Orte der Autorinnen, die von 7 weiblichen Säulenheiligen zum Verweilen im Dom eingeladen waren. In den Rastern fand man ihre Literatur. Die Bücher waren frei verfügbar und konnten jederzeit vor Ort – selbst während der Messen – gelesen werden.

Im Stephansdom fotografierte ich die Rasterprojektion für das zweite Projekt im öffentlichen Raum, wien 2016:
DYSTOPIA  EUTOPIA thematisierte entlang von Raster, Tor und Stacheldraht, jene drei Elemente, die in einer Gesellschaft Sicherheit aber auch Inklusion und Exklusion bedeuten.

Im großen Stadtprojekt anlässlich 30 Jahre Friedliche Revolution Leipzig 2019 bekamen die Raster eine noch größere Aufgabe: Sie dienten der Übertragung eines Ortes auf einen anderen und wurden damit zu einem der Elemente für die Verwebungen, die für das neue visuelle Stadtportrait so signifikant wurden (siehe weiter unten).

Das Raster, ein seit dem 20. Jahrhundert in der Kunst immer wieder auftauchendes Motiv, oft auch autonomes Bildthema, steht für Gleichförmigkeit, Ordnung und Unpersönlichkeit. Das Raster ist ein antihierarchisches System oder, wie Sigmar Polke es für sich definierte, „eine Methode, Struktur. Es zerlegt, streut, ordnet.“ Doch bietet gerade das Raster die Möglichkeit, durch eine Abweichung, durch Brüche in der Struktur eine Irritation oder „Störung“ herbeizuführen. Bei Victoria Coeln ist die Störung dieser Systematik gleichbedeutend mit dem Aufbrechen einer strengen Logik. Einerseits wird durch die Diagonalen das klassische Raster durchbrochen, andererseits ergeben sich durch die Projektion von mehreren Scheinwerfern und die Montage an öffentlichen Masten Bewegungen und Unregelmäßigkeiten an den Schnittstellen. Die Störung einer Logik bedeutet das Ausbrechen aus der Schematik. […] Die Belebung oder Brechung des Rasters in Coelns künstlerischer Arbeit kann durchaus gesellschaftskritisch gelesen werden. Wie starr, wie offen ist unsere Gesellschaft? Wo stecken wir unsere eigenen Grenzen ab, wo erweitern wir unseren Raum? Wo werden Grenzen und Räume überschritten? Wer bestimmt die fremdbestimmten?” (Kerstin Jesse)

THE RASTER

“The raster, a motif appearing frequently in the arts since the 20th century, often also the subject of an image in its own right, stands for regularity, order and impersonality. The raster is an anti-hierarchical system, or, as Sigmar Polke defined it for himself, “a method, structure. It deconstructs, disperses, orders.” By the same token, the raster, however, offers the possibility of causing irritation or disturbance through deviation or breaks in the structure. In Victoria Coeln’s work, the disruption of this system signifies the break-up of a strict logic. On the one hand, the diagonals interrupt the classical raster; on the other hand, the projection by several spotlights mounted on public poles causes movements and irregularities at the intersections. The disruption of logic means breaking out of patterns. […] Enlivening and breaking up the raster in Coeln’s artistic work can indeed be read as a form of social criticism. How rigid, how open is our society? Where do we draw our own borders, where do we expand our space? Where are borders crossed and spaces transcended? Who defines those who are defined by others?” (Kerstin Jesse)

Raster 1

Nikolaikirche

Raster Sankt Nikolai ©AtelierVictoriaCoeln/Prochart_Bildrecht 2019

Diachrom Raster Nikolaikirche
©AtelierVictoriaCoeln_Bildrecht 2019

Die Nikolaikirche war der Ausgangsort für die Proteste und Montagsdemonstrationen, die zur Kapitulation des DDR-Regimes führten. In die Nikolaikirche wurden ungebrochene Raster projiziert, fotografisch festgehalten und in Diachrome  transformiert. Von 16. September bis 9. Oktober überschrieb so die Nikolaikirche die Stasi-Zentrale. Das sorgte in Leipzig immer wieder für ein Schmunzeln.

siehe auch Lichtring 16

Raster Sankt Nikolai @ Ohrenburg ©AtelierVictoriaCoeln/Prochart_Bildrecht 2019

Raster 2

GÄSTEHAUS AM PARK

Raster Gästehaus am Park ©AtelierVictoriaCoeln/Prochart_Bildrecht 2019

Diachrom Raster Nikolaikirche
©AtelierVictoriaCoeln_Bildrecht 2019

Das Gästehaus beim Clara-Zetkin-Park im Musikviertel wurde 1969 als Residenz für den Ministerrat, für wichtige Messegäste und Politiker errichtet. Heute verfällt dieser Gebäudekomplex inmitten eines teuren Wohnviertels. Vor Ort wurde ein ungebrochener Raster über das Gästehaus gelegt, fotografisch festgehalten und dann in Diachrome transformiert. Am 9. Oktober 2020 überschrieb das Gästehaus den Leipziger Hauptbahnhof, wo zu DDR-Zeiten auch zahlreiche Gäste Honeckers an- und abreisten.

siehe auch Lichtring 10

Raster Gästehaus @ Hauptbahnhof Leipzig ©AtelierVictoriaCoeln/Prochart_Bildrecht 2019

Raster 3

BAUMWOLLSPINNEREI

Raster Baumwollspinnerei ©AtelierVictoriaCoeln/Prochart_Bildrecht 2019

Diachrom Raster Spinnerei
©AtelierVictoriaCoeln_Bildrecht 2019

Das Raster, projiziert auf die Baumwollspinnerei wird aufgenommen und in ein Diachrome transformiert, das dann wiederum das Schauspielhaus überschreibt. Die realen und projizierten Schienen kreuzen einander am Dittrichring.

Die Baumwollspinnerei am  Lichtring 18

Raster Spinnerei @ Schauspielhaus ©AtelierVictoriaCoeln_Bildrecht 2019

Raster 4

naTo

Raster naTo ©AtelierVictoriaCoeln_Bildrecht 2019

Diachrom Raster naTo
©AtelierVictoriaCoeln_Bildrecht 2019

Bereits in den 80ern spielten in der naTo internationale Jazzgrößen. Der Saal hatte zur Nationalen Front gehört, stand aber leer. Zum internationalen Szene-Ort machte ihn damals der Hausmeister. Hier weist nun die “naTo”  den Weg ins Kolonnadenviertel

Die naTo am Lichtring 22

Raster naTo @ Kolonnadenviertel Leipzig DE ©AtelierVictoriaCoeln_Bildrecht 2019